Lying Policeman

Lying Policeman
Dieses Projekt begann während einer Reise nach Tirana. Bei meinen Spaziergängen durch die Stadt weckte vor allem ein augenscheinliches Phänomen mein Interesse: an allen Straßenecken findet man Objekte, welche aus pragmatischen Überlegungen einer Taktik der Improvisation heraus entstanden sind, jedoch unbestreitbare künstlerische Qualitäten aufweisen. Ihre Ästhetik ist zum einen geprägt durch die spontane Verwendung verfügbarer Materialien wie Beton, Eisenstangen, Kübeln oder Tonnen, zum anderen durch die ihnen zugewiesene Funktion.
Unter Begrifflichkeiten wie "unvorhersehbares Material" oder "die zufällige Geste", könnte man in diesen Objekten Merkmale der informellen Kunst wiedererkennen.
Diese Skulpturen/Objekte , umgangssprachlich "Liegender Polizist" genannt, werden von AnwohnerInnen im öffentlichen Raum installiert, und sind dafür konzipiert einen gewissen Raum für sich zu beanspruchen; um eine Einfahrt frei zu halten, einen Parkplatz zu reservieren oder einen nicht vorhanden Gehsteig zu markieren. Der Staat schafft es nicht seine Aufgaben der Verwaltung und Organisation des öffentlichen Raums in ausreichendem Maße zu bewältigen, was dazu führt, dass die StadtbewohnerInnen teilweise auf sich selbst gestellt sind - was aber auch bedeutet, dass sie über diesen Raum verfügen und diesen selbstbestimmt mitgestalten können.
Mein Interesse gilt dem kreativen Prozess, welcher keinen festen Regeln gehorcht und in dem das Willkürliche eine wesentliche Rolle spielt. Ich habe in Anwendung dieser Strategie eine Reihe von Skulpturen hergestellt. In Verwendung von vorhandenen oder spontan verfügbaren Materialien, tragen sie die gleichen ästhetischen Codes und sind auch in der Lage die gleichen Funktionen zu erfüllen. Einige der entstandenen Objekte sind naturgetreue Replikate der in Tirana fotografierten Originale, während andere Exemplare eine freiere, spielerischere Interpretation darstellen.
Mit genau dieser Kreativität der BürgerInnen befasst sich Michel de Certeau in "Kunst des Handels" (1). Seine während der Konjunkturphase der 60ger und 70ger durchgeführten Untersuchungen beziehen sich auf die kreative Nutzung von Industriegütern im Alltag und die daraus resultierende Individualität, die im Gegensatz zum passiven Verhalten des Konsums stehen.
Den Kontext seiner Theorie stellt der Raum innerhalb der geplanten Stadt dar, ein Raum der von PolitikerInnen, StadtplanerInnen oder ArchitektInnen definiert ist, die die städtische Einheit als Plan in einer Ansicht von Oben sehen. 
Diesem Kontext stellt er die Idee einer herumwandernde Stadt gegenüber, welche durch unsichtbare und ungeahnte Praktiken charakterisiert ist und einen "alltäglichen Ablauf und eine unauffällige Kreativität"(2) darstellt.
Hier wird die Stadt nicht von Oben betrachtet, sondern von der Straße aus, wo wir ihr begegnen.  Certeau schließt daraus eine Unterscheidung zwischen dem Ort und dem praktizierten Raum.
Ich frage mich wie sich Certeaus Theorie in einer Stadt wie Wien auswirkt und wie sich meine Arbeit darauf bezieht.
Seine Thesen verweisen auf die Erfahrung von Realität. Innerhalb seiner Theorie stellen meine Skulpturen Untersuchungen dar, was mit dem Raum geschieht. Ich untersuchte die Wechselwirkung der Skulpturen zu verschiedenen Orten im Stadtraum und wie sie somit in ihrer Funktion unterschiedlich interpretiert werden können. Nur im öffentlichen Raum entfaltet sich die unzulängliche Natur der Objekte. Unter anderem, weil sie versuchen, sich den sie umgebenden ästhetischen Standards zu wiedersetzen und trotz ihres subversiven Aussehens eine gewisse Autorität zu erlangen. Wenn man annimmt die Objekte seien ein trotziger Protest gegen den Disziplinierungsapparat, kann man dennoch nicht ausschließen, dass sie zugleich auch an der Reproduktion desselben beteiligt sind. Durch die Adaption des existierenden Systems messen sie diesem eine besondere Aufmerksamkeit und erhöhte Sichtbarkeit zu. Die Skulpturen selbst nehmen dabei eine marginale Rolle ein.

(1) Michel de Certeau, Kunst des Handelns, Merve Verlag
(2) Michel de Certeau, Kunst des Handelns, S. 186









                                                                                                                                                                                      photo: Olivia Jaques  
                                                                                                                                                                                      photo: Olivia Jaques
                                                                                                                                                                                      photo: Olivia Jaques
                                                                                                                                                                                      photo: Olivia Jaques
                                                                                                                                                                                       photo: Olivia Jaques
                                                                                                                                                                                     photo: Olivia Jaques
                                                                                                                                                                                     photo: Olivia Jaques

                                                                                                                                                                                    photo: Olivia Jaques